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07. Juli 2002
Sonntagszeitung heute
Sonntagszeitung
Meinung
Kriegsgewinnler der Frauenbewegung
 
Verunsichert war der Vorstand der Deutschen Bank AG schon, als er feststellte, was er sich mit Bankers Trust New York Corp. eingehandelt hatte. Das 1999 erstandene amerikanische Investmenthaus verfügte über eine Abteilung namens "Diversity Management", die es in deutschen Finanzinstituten nicht gab. Korrekt, wie Amerikaner sind, achten firmeninterne "Diversity Teams" schon seit längerer Zeit darauf, daß ein Arbeitgeber keinen Anstoß daran nimmt, wenn einer der Beschäftigten nur wenig Englisch spricht, unverheiratet ist und trotzdem Kinder hat oder eine Moschee besucht. Statt dessen soll sich der Chef über die Vielfalt ("diversity") innerhalb seines Unternehmens freuen. Auch die (homo)sexuelle Orientierung eines Mitarbeiters soll bis in die Vorstandsetagen als Bereicherung empfunden werden.

Homosexualität war bis dahin ein Tabuthema in den Frankfurter Wolkenkratzern des Konzerns Deutsche Bank (wie auch in allen anderen Türmen der Finanzmetropole). Wer sich offen zu seiner gleichgeschlechtlichen Neigung bekannte, hatte keine Chance, in den kleinen Kreis der (ausschließlich männlichen) Entscheidungsträger aufzusteigen, von denen fast alle verheiratet sind und Kinder haben. Mit dem Erwerb von Bankers Trust hörte man nun erstmals etwas von "schwuler Kompetenz", die sich amerikanische Unternehmen bewußt zunutze machen. In ihrem Auftrag suchen Headhunter gezielt nach geeigneten Bewerbern, die sich zudem zu ihrer Homosexualität bekennen. Fast scheint es, als sei der einstige Makel der Karriere dienlich.

Der Berliner Sozialwissenschaftler Michael Bochow (Fachgebiet Minderheitenforschung) geht sogar noch einen Schritt weiter. Seiner Meinung nach könnten Schwule, die sich als solche zu erkennen geben, "Kriegsgewinnler der Frauenbewegung" sein. Und zwar, indem sie als Männer in eine reine Männergesellschaft vordringen und dabei jene gläserne Wand ("glass ceiling") durchbrechen, die weiblichen Führungskräften den Weg an die Spitze versperrt. Obwohl Frauen über eine besondere soziale Kompetenz verfügen, die der neuerdings in Amerika geschätzten schwulen Kompetenz beinahe entspricht: Sie gelten als einfühlsamer, können besser zuhören und sind mehr auf Ausgleich bedacht. Schwule, so könnte die logische Schlußfolgerung lauten, haben gegenüber Frauen also den Vorteil, daß sie zwar ähnliche Fähigkeiten besitzen, aber ihnen der Aufstieg in männliche Führungszirkel leichter fällt.

Die deutsche Wirtschaft profitiert nach Meinung von Volker Ostler, dem Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Diversity Management, schon lange von den besonderen Qualitäten männlicher Homosexueller. "Natürlich gibt es in den Chefetagen der Unternehmen schwule Vorstände", sagt er. Diese seien aber gezwungen, ihre sexuelle Neigung zu verheimlichen und ein Doppelleben zu führen.

Bei der Deutschen Bank ist damit offiziell Schluß. Der Vorstand hat seinen Mitarbeitern den offenen Umgang mit dem Thema Homosexualität verordnet. Seit Oktober 2000 besteht die "Rainbow Group Germany" als eigenständige Abteilung mit mittlerweile 150 lesbischen und schwulen Mitgliedern. Ein Schritt, der in diesem Jahr besonders gewürdigt wurde: Die Deutsche Bank wurde mit dem Max-Spohr-Managementpreis 2002 des Völklinger Kreises, des Bundesverbandes homosexueller Manager, ausgezeichnet. Heinz Fischer, Bereichsvorstand Personal der Deutschen Bank, nahm den Preis entgegen (er ist benannt nach dem heterosexuellen Verleger Max Spohr, der im Kaiserreich Bücher für Homosexuelle publizierte und dafür ins Gefängnis mußte). Dies sei, sagte Fischer, ein "Preis für eine Selbstverständlichkeit".

Selbstverständlich ist der Umgang mit Homosexuellen innerhalb der Deutschen Bank gewiß noch nicht. Da ist sich Volker Ostler sicher. Im Gegenteil: "Gerade Banken und Versicherungen zählen zu den besonders homophoben Unternehmen." Mutig nennt Ostler deswegen die Deutsche Bank, die den Preis verdient habe. Es gebe sogar Nachahmer unter den Konkurrenten. "Die Dresdner Bank hat erst kürzlich einen jungen Mann eingestellt, der nicht nur fachlich kompetent war, sondern offen von seiner Homosexualität berichtet hatte. Das war für die Bank der ausschlaggebende Grund, sich für genau diesen Kandidaten zu entscheiden." Der künftige Arbeitgeber sei von der Ehrlichkeit besonders beeindruckt gewesen, glaubt Ostler.

Eine Ausnahme, sagen die Mitglieder von Gay Bankers Network. Einmal im Monat treffen sie sich im Frankfurter Szenelokal "Pulse". Kaum einer der Anwesenden hat nach seinem "Coming-out" in seiner Bank schlechte Erfahrungen gemacht. Trotzdem wollen sie ihre Namen nicht in der Zeitung lesen. Weil der Arbeitgeber das nicht mögen könnte oder auch weil sie privat nicht geoutet sind. Immer wieder wird die Vorreiterrolle der Deutschen Bank gelobt. Das beste daran sei allerdings: "Wenn eine Bank etwas ausheckt, folgt die Konkurrenz auf dem Fuße." Dabei spiele das Thema keine Rolle. Erste Erfolge kann nach Ansicht der Gay Banker die Dresdner Bank vermelden. "Obwohl wir uns von unten nach oben graben müssen." Vor einem Jahr haben Mitarbeiter der Beraterbank ihre "Rainbow Dresdner Community" gegründet - auf privater Basis. Und auf Anregung einer heterosexuellen Frau, die ihren homosexuellen Kollegen helfen wollte. Was ihr offenbar gelang: In wenigen Wochen meldeten sich 100 Interessenten. Erste Gespräche mit der Personalabteilung sind noch im Juli geplant.

Die unübersehbaren und bei der Deutschen Bank institutionalisierten Fortschritte sind nicht von ungefähr gekommen. Ohne Bankers Trust, da sind sich die Gay Banker sicher, wäre wahrscheinlich bis heute nicht viel passiert. Zudem hätten die Vorstände ihrer in Amerika börsennotierten Unternehmen Angst vor kostspieligen Prozessen, wie sie von Homosexuellen, die sich benachteiligt glaubten, schon mehrfach geführt und gewonnen wurden. "Da geht es nicht um 10000Dollar, sondern um zweistellige Millionenbeträge." Auch auf die geänderten Bedürfnisse ihrer Kunden mußten sich die Geldinstitute einstellen, etwa auf die gemeinsame Kontoführung Homosexueller, die eine Lebenspartnerschaft eingegangen sind.

Zum Stammtisch des Gay Bankers Network sind an diesem Abend 15Mitarbeiter fast aller großen Geldinstitute gekommen - ausschließlich Männer. Nur selten schauen auch Kolleginnen bei den regelmäßigen Veranstaltungen vorbei. Das liege unter anderem am Namen, vermuten die Anwesenden. "Gay" bedeute zwar soviel wie homosexuell, Lesben übersetzten das Wort aber oft nur mit schwul. Zudem sei ihre Neigung nicht so ausgeprägt, Netzwerke aufzubauen. Das bestätigt auch Michael Bochow. Schwule und Lesben unterschieden sich vor allem in einer Hinsicht: Letztere wurden nie kriminalisiert. Deswegen hätten Schwule von jeher stärkere Motive gehabt, sich zu wehren, sich zu engagieren und Netzwerke aufzubauen.

Homosexuelle Männer haben die Fähigkeit, sich untereinander zu erkennen. Indem sie sich bei der ersten Begegnung länger in die Augen schauen, als es heterosexuelle Männer tun würden. Das signalisiert nicht unbedingt nur Interesse. Schwule haben vielmehr die Idee der Community verinnerlicht. Sie stammt aus einer Zeit, als es notwendig erschien, sich zusammenzuschließen und gegenseitig zu unterstützen. Darum allein geht es längst nicht mehr. Mittlerweile gibt es neben Selbsthilfegruppen und Stammtischen auch spezielle Workshops und Management-Trainings. Sogar zu einer Sommerakademie lädt die einzige schwule Unternehmensberatung Deutschlands (Antinous) ein. Die Angebote unterscheiden sich nicht von den üblichen Programmen für Führungskräfte. Zugleich vermitteln, wie es heißt, "erfahrene Trainer und kompetente Berater, die als Schwule ihre spezielle Sozialisation aktiv durchlebt haben, zusätzliche soziale Kompetenz".

Tatsächlich machen Homosexuelle Karriere, in künstlerischen Berufen seit je, in Wirtschaft und Politik bisher nur dann, wenn sie ihrem Umfeld ihre gleichgeschlechtlichen Neigungen verheimlichen. Das soll sich geändert haben: Seit gut einem Jahr ist die Rede davon, daß es sich auszahlt, publikumswirksam sein "Coming-out" zu zelebrieren. Ein Name scheint dafür wie kein zweiter zu stehen: Klaus Wowereit, Regierender Bürgermeister von Berlin. Aidan Rankin, ehemals Vorsitzender der englischen Grünen ("Ecology") und Publizist, schreibt dazu im "Spectator", daß die Opferrolle Schwuler sogar Vorteile habe, weil es die einstigen Gegner nun zum Schweigen verdamme. Im Falle Wowereits scheint diese These zu stimmen: Er muß zwar mit Kritik ("Berlins Regierender Partymeister") leben, doch man hütet sich davor, ihn wegen seiner sexuellen Orientierung direkt anzugreifen.

Das mag auch damit zusammenhängen, daß das Lebenspartnerschaftsgesetz, das am 17. Juli vom Bundesverfassungsgericht noch einmal geprüft wird, weniger negative Reaktionen ausgelöst hat als erwartet. Sogar ein Bundeskanzler Edmund Stoiber würde daran wohl nicht mehr rütteln, ist sich der offen schwule Bundestagsabgeordnete Volker Beck sicher: "Das Gesetz hat die Menschen gezwungen, sich noch mehr mit Homosexuellen auseinanderzusetzen." Er weiß, wie schwer es vielen seiner Kollegen fällt, mit ihrer Homosexualität umzugehen. Nur vier Parlamentarier sind offen schwul oder lesbisch - außer Beck noch die PDS-Politikerinnen Christina Schenk und Sabine Jünger sowie Johannes Kahrs von der SPD. Volker Beck behauptet von sich, 30weitere Kollegen zu kennen (knapp fünf Prozent aller Abgeordneten), was ziemlich genau dem geschätzten Anteil Homosexueller an der deutschen Gesellschaft entspricht. Der rechtspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion will allerdings nicht darüber spekulieren, ob es einem konservativen, bisher verheirateten Politiker nicht doch eher schadet, wenn er nach 30Jahren plötzlich über seine gleichgeschlechtliche Veranlagung spricht. "Ich bin hier, um gut zu arbeiten", sagt Beck. Deswegen seien seine Mitarbeiter auch nicht unbedingt schwul oder lesbisch, sondern vor allem fachlich kompetent.

Auch in der CDU/CSU-Fraktion soll der Anteil an homosexuellen Abgeordneten nicht geringer sein als in anderen Parteien. Martin Herdieckerhoff ist Bundesvorsitzender der Lesben und Schwulen in der Union (LSU), die es seit März 1998 gibt. Kontakte zu Spitzenpolitikern in beiden Parteien bestehen aber erst seit anderthalb Jahren. "Wir hatten bereits Gespräche mit Roland Koch und Peter Müller", berichtet Herdieckerhoff nicht ohne Stolz. Der bekennende heterosexuelle Frank Steffel, CDU-Fraktionsvorsitzender im Berliner Abgeordnetenhaus, sei sogar förderndes Mitglied geworden. Als besonderen Erfolg jedoch wertet es der schwule Nachwuchspolitiker, daß die Homepage der LSU mit der Internetseite des als homophob geltenden Bundestagsabgeordneten Norbert Geis (CSU) verlinkt ist. In etwa zwei Jahren, glaubt Her dieckerhoff, zahle sich seine Offenheit aus. "Ich glaube, dann ist Schwulsein ganz hilfreich."

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 7.7.2002
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